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ESSAY (32)
Kulturgeschichte
Was die frühen Muslime unter Wissenschaft verstanden

Anis Hamadeh, 09.01.2016

Die Vergangenheit ändert sich ständig – in unserem Bewusstsein. Sei es auf Grund von Knochenfunden, von Luftaufnahmen in der Archäologie oder von neuen Herangehensweisen in der Geschichtswissenschaft, die sich schon lange für kultur- und ideengeschichtliche Fragestellungen geöffnet hat.

Während meiner Studienzeit erlebte ich den Aufstieg der kognitiven Linguistik und insbesondere der Metapherntheorie von George Lakoff mit und wandte sie auf mein anderes Studienfeld an, die islamische Geschichte. Bis heute, zwanzig Jahre später, sind mir einige größere Zusammenhänge klar geworden, die ich in diesem Essay allgemeinverständlich formulieren möchte.

Denken in Metaphern

Zunächst einmal: In der kognitiven Linguistik geht es um das Verhältnis zwischen Sprache, Denken und Bewusstsein. Die moderne Metapherntheorie besagt, dass wir uns abstrakte Sachverhalte nur anhand von Abbildungen vorstellen und sie auch nur so ausdrücken können. Wenn wir zum Beispiel über Zeit sprechen wollen, müssen wir Metaphern verwenden, meistens aus den Bereichen der Entfernung, der Bewegung und der Reifung, weil wir anders nicht über Zeit nachzudenken und zu sprechen in der Lage sind.


Die Zeit läuft. Ohne Metaphern können wir nicht über Zeit sprechen oder nachdenken. Grafik: Sabine Yacoub

Linguisten dieses Zweigs haben das Phänomen untersucht, die Metaphern klassifiziert, in Datenbanken gesammelt und sich Gedanken darüber gemacht, was es bedeutet – auch politisch –, wenn wir in Bildern denken. Unvergessen ist Professor Lakoffs Analyse „Metaphor and War: The Metaphor System Used to Justify War in the Gulf“ von 1991, die als eine der ersten frei über das Internet verbreiteten Aktionen des friedlichen Widerstands angesehen werden kann. Sie ist dort online bis heute zu finden, ebenso wie die noch immer hoch aktuelle Neuauflage „Obama Reframes Syria: Metaphor and War Revisited“ von 2013 in der Huffington Post.1

Während ich also über arabischen Quellentexten aus dem 8.-16. Jahrhundert saß und mich vor allem für die Geschichte der Wissenschaften interessierte, war mein Auge von der Linguistik geschult und ich sah überall die Metaphern aus den Texten herausragen. Wie schrieben und dachten die Muslime zur Blütezeit um das Jahr 1000 über den abstrakten Begriff der Wissenschaft? Heute würde ich hinzufügen: In welchem Verhältnis stand dieses Denken zu unseren modernen Metaphern, etwa von „Fortschritt“ und „Entwicklung“?

Dabei muss beachtet werden, dass die arabisch-islamischen und die modernen abendländischen Wissenschaften in mehrfacher Weise zusammengehören und ein Kontinuum bilden, weil beide auf Aristoteles und den griechischen Wissenschaften basieren, weil das arabische Schrifttum und die Mentalität dahinter auf vielfältige Weise in Europa rezipiert wurden und weil wichtige europäische Zentren des Wissens, etwa in Spanien, zur Zeit von Europas Entdeckung Amerikas sozusagen den Besitzer wechselten, ohne dabei an Kraft und Innovation zu verlieren.

Islam und Wissenschaft

Tatsächlich war der Wissensdurst der frühen Muslime im siebten und achten Jahrhundert aufgrund der Veröffentlichung des Korans und der sich daraufhin schnell entwickelnden Sprachwissenschaft so groß, dass Aristoteles' Einteilung und Beschreibung der Wissenschaften dankbar aufgenommen und übersetzt wurde. Dabei ging es hauptsächlich um die theoretischen Wissenschaften Physik, Mathematik und Metaphysik mit ihren weiteren Unterteilungen sowie die Logik als Werkzeug und interdisziplinäres Hilfsmittel.

Die arabisch-islamische Vorstellung eines systematischen Wissenschaftsbegriffs kam also von den Griechen. Das griechische Ideal des Philosophen wirkte besonders stark im neunten Jahrhundert. Im zehnten wurde es vom iranischen Gelehrten-Ideal des „Adiib“ überholt. Die arabisch schreibenden iranischen Sekretäre am Hof hatten sich etabliert und eine Fülle von Büchern hervorgebracht. Sie fühlten sich den islamischen Wissenschaften wie Koran, Prophetenüberlieferung und Scharia-Recht ebenso verpflichtet wie den überlieferten griechischen. Außerdem legten sie Wert auf die Künste und traten als Förderer auf, was den arabisch-islamischen Wissenschaftsbegriff veränderte und erweiterte. Im elften Jahrhundert dann setzte sich das arabisch-islamische Gelehrten-Ideal des „`Aalim“ (Plural: ´Ulamaa') durch und mit ihm eine dauerhafte Orthodoxie, also Rechtgläubigkeit.2 Für den `Aalim standen die islamischen Wissenschaften an erster Stelle und wurden zu Prototypen – ähnlich wie die Amsel eher ein prototypischer Vogel ist als der Emu. Eine strikte Ablehnung griechischer Wissenschaften kam vor, war aber eher selten.


Der Kopf des Philosophen al-Farabi (starb 950) von einer kasachischen Banknote. Im islamischen Mittelalter gab es verschiedene konkurrierende Gelehrtenideale. Foto: Wikipedia

Insgesamt – das wird heute kaum bestritten – hat der Islam als Religion und Richtschnur menschlichen Handelns die Entwicklung der Wissenschaften öfter gefördert als gehemmt. Immerhin war die Beschäftigung mit den Wissenschaften keineswegs auf religiöse Funktionäre beschränkt und stand jedem offen. Auch unterlagen naturwissenschaftliche Studien weitgehend und grundsätzlich keinem religiösen Zweck, auch linguistische, historische und literarische nicht. Im Gegenteil lieferte die frühislamische Gesellschaftsform erst die Infrastruktur für einen höchst erfolgreichen Wissenschaftsbetrieb, mit Moscheen als Schulen, die zu Universitäten wurden, mit intensiven Schüler-Lehrer-Verbindungen, einem Wissenschaftskodex, der großen Wert auf Quellenangaben und gerechte Kritik legte, und mit der Absorption des Wissens anderer Kulturen.3

Umstritten bleibt, inwieweit das „Tor des idschtihaad“, des selbstständigen Forschens und Urteilens vom 11. Jahrhundert an von der Orthodoxie geschlossen wurde. Kreative wissenschaftliche Leistungen kamen jedenfalls auch in den folgenden Jahrhunderten in der islamischen Welt vor. Das geflügelte Wort vom Schließen des Tors drückte im Kern auch keine allgemeine Wissenschaftsfeindlichkeit aus, sondern entsprang der Notwendigkeit von Rechtssicherheit in einer Praxis von sich widersprechenden Rechtsgutachten, also Fatwas.

Wissenschaft als Anhäufung von wertvoller Materie

Vor diesem Hintergrund liegt es nahe anzunehmen, dass auch das Denken und Sprechen über die Wissenschaften eine gemeinsame Basis hat, über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg. Gemeint sind hier die Alltagssprache und das Alltagsdenken, nicht die individuelle Terminologie oder Anschauung einzelner Gelehrter oder Schulen. Zu diesem Zweck untersuchte ich die Metaphorik alter arabischer Texte zur Beschreibung und Einteilung der Wissenschaften wie die von Ibn Hazm, Ibn Khaldun, al-Ghazali, Ibn Sina, Ibn an-Nadim und andere repräsentative Werke ebenso wie ausgewählte Vorworte mittelalterlicher arabischer Monographien zu einzelnen Wissenschaften, weil dort häufig einführende Hinweise zum allgemeineren Thema Wissenschaft zu finden sind.4

Die Quellen zeigen, dass die Wissenschaften aufgrund ihres Nutzens von allen Autoren als kostbarer Schatz und begehrenswertes Gut konzeptionalisiert wurden, ja als Handelsgut, Kapital und Währung, für die es Märkte gibt, wo sie ausgegeben werden können und sollen, um damit gute Geschäfte zu machen. Nicht die Methode oder die Fragestellung waren also zentral, sondern der Nutzen einer Wissenschaft.

In Anlehnung an koranisch-biblische Prophetengeschichten wird Wissenschaft auch ähnlich wie die Offenbarung des göttlichen Wortes verstanden: als Gabe Gottes im Rahmen seines Vertrags mit den Gläubigen, die den Schatz verantwortungsvoll zu hüten, weiterzugeben und zu vererben haben.

Die Vorstellung eines Schatzes erläutern die Autoren des Mittelalters anhand von Metaphern der Fülle und Reichhaltigkeit, bei denen die Wissenschaften zum Beispiel als überschäumender Ozean beschrieben werden, in dem man schwimmen kann, oder alternativ als Regen, der Früchte hervorbringt. Das „Meer des Wissens/der Wissenschaft“ ist eine gängige Metapher auch im Westen. Im Arabischen allerdings gibt es eine starke Parallel-Metapher „Sprache ist ein Meer“, was schon die Begriffe für „Lexikon“ zeigen, „qaamuus“ und „muhiit“, die beide „Ozean“ bedeuten, ersterer direkt aus dem Griechischen „okeanos“.


Wissenschaft ist ein Ozean, in dem man schwimmen kann. Foto: MikeInfokan, via Wikipedia

Mit den Wassermetaphern wird Wissenschaft zu einem messbaren Gut, das eine Art Gefäß oder einen Träger benötigt, um gefasst und gehalten zu werden, und man kann seine Existenz in den Städten wie einen Wasserstand ablesen, der steigt und fällt.

Als Träger oder Gefäß der Wissenschaften wurden außer kulturellen Zentren auch Bücher aufgefasst, ebenso wie Gelehrte und Studenten. Den Lernprozess stellte sich die arabisch schreibende Welt einerseits als eine Annäherung an die Wissenschaften vor und ihre Berührung, dargestellt mit Verben der Aufwärtsbewegung hin zu einem hohen Ziel, das stufenweise erreicht wird, oder auch mit Verben der Abwärtsbewegung, die das Eintauchen und sich Vertiefen in die Geheimnisse der Wissenschaften beschreiben, denen man auf den Grund geht, wobei Hindernisse überwunden oder geöffnet werden müssen, Schleier etwa, die gelüftet werden. Andererseits finden wir Metaphern, in denen sich der Lernende als Gefäß die Wissenschaft aneignet, sie an sich nimmt, in sich aufnimmt und sich damit füllt.

Wir haben es mit einer sehr materiellen Vorstellung zu tun, bei der sich die einzelnen Bestandteile in kumulativer Weise zu größeren Teilen zusammenschließen, die am Ende die Gesamtheit der Wissenschaften darstellen. Diese Bestandteile konnten Einzelthemen sein, Methoden, untergeordnete Disziplinen und vieles mehr. Flankiert und ergänzt wird diese Vorstellung von weniger zentralen Metaphern wie der Lichtmetapher, die auf der wohl universalen Vorstellung „Wissen ist Sehen“ beruht.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die gebildeten Menschen in Ost und West vor tausend Jahren weitgehend davon ausgingen, dass die Welt aus einem festen Set von Dingen bestand, für die es jeweils Wörter gab, die wie Etiketten auf diese Dinge verwiesen. Aspekte wie die Subjektivität von Wahrnehmung, die Relativität von Aussagen oder auch wissenschaftlicher Fortschritt traten dabei in den Hintergrund und konnten zum Teil gar nicht gedacht werden.

Fortschritt und Entwicklung der Wissenschaften

Die Begriffe „Fortschritt“ und „Entwicklung“, Lehnübersetzungen aus dem Französischen, bekamen ihre Bedeutung für die Beschreibung von Wissenschaft und Technik im 18. Jahrhundert, in der Epoche der Aufklärung, die in die Moderne mündete, und deren Metaphern für uns heute selbstverständlich sind. Wir erwarten geradezu technische und geistige Revolutionen, während unsere Computer immer kleiner und leistungsfähiger werden. Das ist der Fortschritt.

Aber gab es denn gar nichts Vergleichbares im islamischen Mittelalter? Immerhin hatte sich schon um das Jahr 800 im Irak die rationalistische und in vielem modern anmutende philosophische Strömung der Mu`tazila etabliert, die für lange Zeit Impulse in die ganze islamische Welt sendete. Wenn die Araber und Muslime über die Geschichte und Zukunft der Wissenschaften schrieben, hatten sie dann gar keine Vorstellung einer Entwicklung?

In meinen Quellen fand ich viele Hinweise auf einen Denkrahmen, den ich in meiner Magisterarbeit als „Wanderschaftsszenario“ bezeichnete. Demnach kursieren die Wissenschaften unter den Leuten und ziehen von einem Volk zum anderen, wie edle Gäste, die gemeinsam auftreten, da sie miteinander verbunden sind und einander brauchen. Manchmal gehen sie zugrunde und ihre Spuren verblassen; man soll sie gut behandeln, um dies zu vermeiden. Sie können aber auch zurückkehren und zu neuem Leben erweckt werden. – Man sieht: Es ist keine Vorstellung von Entwicklung im modernen Sinn nötig, um den Lauf der Wissenschaften durch die Zeit zu beschreiben. Auch die im alten Arabischen vorkommenden Metaphern von „Blüte“ und „Verfall“ beziehungsweise vom „goldenen/silbernen Zeitalter“, die in diesen Kontext gehören, bezeichnen eher formale Aspekte von Entwicklung als zum Beispiel methodische Neuerungen, die es dennoch natürlich gab. Sie standen einfach nicht im Zentrum des Denkens, anders als Nutzen, Notwendigkeit, Tugend und Vorzüglichkeit einer Wissenschaft.

Ergänzend gibt es allerdings tatsächlich auch ein „Entwicklungsszenario“ hinsichtlich der Wissenschaften, am klarsten formuliert vielleicht im Wissenschaftskapitel von Ibn Khalduns berühmtem soziologischen Pionierwerk „Muqaddima“. Dieses Buch aus dem 14. Jahrhundert – eigentlich ein Vorwort zu seinem vielbändigen Geschichtswerk – ist zwar erst in jüngerer Zeit in den arabischen Mainstream gelangt, die Metaphorik jedoch schöpft aus lange existierenden Vorstellungen. Demnach entstehen die Wissenschaften durch ihre Verschriftlichung, beginnend mit den ersten Büchern über eine Disziplin, den „Müttern“. Die neuen Wissenschaften werden später verändert, in eine Ordnung gebracht, durchgesehen und verbessert und man kann Anhänge anbringen und neue Zweige ableiten.


Die frühen Muslime stellten sich die Wissenschaft(en) oft als Buch vor. Quelle: wellcomeimages.org

Mit der übergeordneten Metapher „Wissenschaft ist ein Buch“, die es schon lange gab, gelingt es also, Fortschritt und Entwicklung auszudrücken. So konnte Ibn Khaldun im Schlusswort der Muqaddima folgende sehr modern anmutenden Sätze schreiben: „Dieses Buch handelt von der Beschaffenheit der menschlichen Zivilisation und ihrer Faktoren. Ich habe die Probleme dieser Wissenschaft so weit ausgeschöpft, wie ich es für nötig befunden habe. Mögen andere kommen, die mit gesundem Denken und solidem Wissen gesegnet sind und tiefer in seine Probleme eindringen als ich. Es kann nicht die Aufgabe des Pioniers einer Disziplin sein, alle Probleme aufzuzeigen, sondern er kann vielmehr nur das Thema der Wissenschaft vorgeben und eine grobe Gliederung vornehmen. Es ist an späteren Generationen, Stück für Stück alle fehlenden Probleme hinzuzufügen, bis die Wissenschaft dann vollständig vorliegt.“

Wissen in Worten, Wissenschaft in Büchern

Der arabisch-islamische Wissenschaftsbegriff erschließt sich uns leicht, wenn wir die zu Grunde liegende Metaphorik untersuchen und mit der unsrigen heute vergleichen. Auch für uns besteht eine grundlegende Verbindung zwischen Büchern und Wissenschaft, auch wenn wir in Ausdrücken wie „Die Wissenschaft sagt/hat festgestellt ...“ Wissenschaft viel stärker als Agens konzeptionalisieren, als eigenständige Kraft. Im islamischen Mittelalter hingegen herrschte die Vorstellung vor, dass die Wissenschaften irgendwann vollständig vorlagen, ähnlich wie ein geographisches Gebiet, das sich mit der Zeit erschließt.

Blicken wir auf die Entwicklung der arabischen Schriftkultur, finden wir Entsprechungen in den Sammlungen wissenschaftlicher Hefte, die in Büchern zusammengeführt wurden und dann in oft mehrbändigen Werken zu einzelnen Disziplinen. So verbanden sich Wörterlisten zu großen Lexika, die Beschreibungen einzelner historischer Begebenheiten wurden zu monumentalen Geschichtswerken zusammengeknüpft und so weiter. Zu Ibn Khalduns Zeit lagen Handbücher zu allen Disziplinen vor und der Büchermarkt war derart umfangreich geworden, dass eine Gegenbewegung einsetzte, bei der man die Fülle der Informationen wieder zusammenfasste und in kleineren Büchern verdichtete.

Dass es dennoch weiterhin Innovationen geben konnte, zeigt das Beispiel Ibn Khalduns sehr deutlich. Gleichzeitig beengte der Denkrahmen von „Wissen sind Worte“/„Wissenschaft ist Buch“ den kreativen wissenschaftlichen Betrieb, weil jeder Denkrahmen bestimmte Aspekte hervorhebt und andere dafür in den Hintergrund drängt, ein Phänomen, das Linguisten als „highlighting and hiding“ bezeichnen.

Ist dies der Grund für den Niedergang der islamischen Kultur und den Aufstieg Europas, der auch heutigen Muslimen bewusst ist? Vielleicht. Nach Pionieren wie Chaucer, de Montaigne, Luther und Shakespeare etwa stiegen die Nationalsprachen in Europa im 17. Jahrhundert auf und schufen eine neue Weltsicht, die die alte und starr gewordene Universalsprache Latein verdrängte. Anders als das Lateinische konnte das Arabische nicht „überwunden“ werden, weil es bereits Nationalsprache war, jedenfalls in den vielen arabischen Ländern. Als das Medium Zeitung aufkam, nahm die arabische Sprache zum ersten Mal in großem Stil Vokabeln und sprachliche Konstruktionen aus Europa auf, in Form von Fremdwörtern und Lehnübersetzungen.

Andere konstitutive Elemente moderner Wissenschaft wie das mehrdimensionale und perspektivische Zeichnen fanden im islamischen Orient wenig Beachtung, als die Europäer sie revolutionierten – ähnlich wie die Muslime zuvor andere zentrale Elemente revolutioniert hatten, sei es in der Medizin, der Optik oder anderen Disziplinen. Da die beiden Kulturkreise in mehrfacher Hinsicht ein Kontinuum darstellen, scheint es angebrachter, vom Niedergang einer bestimmten Mentalität zu sprechen, die sowohl Ost als auch West betraf.

Der arabisch-islamische Wissenschaftsbegriff ist also auch für abendländische Leser ein Teil der eigenen Geschichte und nichts fundamental Fremdes. Nicht nur hat der Westen sich viele griechische Texte über arabische Mittler und Kommentatoren einverleibt, er übernahm auch genuin arabisch-islamische Elemente wie die medizinischen Schriften Ibn Sinas, der im lateinischen Europa Avicenna genannt wurde, oder die Grundlagen der scholastischen Methode, die ohne den Islam ebenso wenig denkbar ist wie die Revolution in der Nautik, die seit dem 15. Jahrhundert zu wegweisenden geographischen Entdeckungen führte.5


Fußnoten:
1. Unter https://georgelakoff.files.wordpress.com/2011/04/metaphor-and-war-the-metaphor-system-used-to-justify-war-in-the-gulf-lakoff-1991.pdf und www.huffpost.com/entry/obama-reframes-syria-meta_b_3879335 (zurück)
2. Siehe dazu meinen Essay: The Concept of Science in Early Islamic History. Periodica Islamica 6(1):7-14,1996, online unter www.anis-online.de/journalismus/essay/01.htm (zurück)
3. Siehe dazu Fuat Sezgin: Beginn des Stillstandes und Begründung für das Ende der Kreativität. In: Wissenschaft und Technik im Islam I. Einführung. Frankfurt a.M. 2003, S. 168-179, online unter www.ibttm.org/museum/sammlung/Volume1DE.pdf (zurück)
4. In meiner Magisterarbeit „Die Metaphorik von `ilm an den Beispielen Ibn Hazm (st. 1064) und Ibn Khaldun (st. 1406)“, Hamburg 1994, und Folgestudien. In diesem Essay verzichte ich aus Gründen der Lesbarkeit auf die Nennung der entsprechenden arabischen Begrifflichkeiten und auf Quellenangaben zu den einzelnen Metaphern. (zurück)
5. Mehr über den Zusammenhang der muslimischen und der christlichen Kultur in meinem Essay „Gehört er nun oder gehört er nicht, der Islam zu Deutschland“ (2015) unter www.anis-online.de/journalismus/essay/30.htm (zurück)

Cultural History
How the Early Muslims Conceptualized Science

Anis Hamadeh, January 9, 2016

The past is constrantly changing – in our consciousness. Be it due to bone finds, aerial photos in archeology or new approaches in historical science where topics of cultural history and the history of ideas have entered long ago.

During my university studies I witnessed the rise of cognitive linguistics, especially George Lakoff's theory of metaphor, and applied it to my other field of study, Islamic history. Today, twenty years later, I can see some connections and contexts that were not clear to me then, so I want to formulate them in the essay at hand, in a way intelligible to a general audience.

Thinking in Metaphors

First of all: cognitive linguistics is about the relationship between language, thought and consciousness. The contemporary theory of metaphor says that we can envision abstract issues and circumstances only by way of mappings, and mappings are also the sole way for us to express them. So when we, for example, want to talk about time we have to resort to metaphors, usually from the domains of distance, motion and maturing, as we have no other way of thinking and talking about time.


Time is running. Without metaphor we are unable to speak or think about time. Image: Sabine Yacoub

Linguists of this branch have examined the phenomenon, classified the metaphors, collected them in databases and pondered about the significance – including the political scope – of our thinking in terms of mappings. Unforgotten is Professor Lakoff's analysis „Metaphor and War: The Metaphor System Used to Justify War in the Gulf“ from 1991. It can be regarded as one of the first actions of nonviolent resistance freely distributed via internet and has remained online until this day, as has the still highly topical successor „Obama Reframes Syria: Metaphor and War Revisited“ from 2013 in the Huffington Post.1

So, while studying Arabic sources from the 8. to the 16. century with a major interest in the history of science, my eye was trained in linguistics, and everywhere I saw metaphors protude from the texts. How did Muslims write and think about the abstract concept of science in the heyday around the years 1000? Today I would add: How did this way of thinking relate to our modern metaphors, like the ones of „progress“ and „development“?

In this context, it is important to realize that the Arabic-Islamic sciences and modern occidental sciences belong together in several ways, forming a continuum, for both are rooted in Aristotle and the Greek sciences. Moreover, the Arabic library and the mentality behind it had been recognized in Europe in multiple ways. And: Major European centers of knowledge, for instance in Spain, around the time of Europe's discovery of America changed the proprietor, as it were, without losing their innovative power in the process.

Islam and Science

As a matter of fact, due to the publication of the Qur'an and the subsequent swift development of philology, early Muslims' thirst for knowledge in the seventh and eighth centuries was so huge that Aristotle's division and description of the sciences were gratefully adopted and translated. This mainly concerned the theoretical sciences of physics, mathematics and metaphysics with their respective subdivisions as well as logic as a tool and interdisciplinary auxiliary means.

So the Arabic-Islamic notion of a systematic concept of science came from the Greeks. The Greek ideal of the philosopher was particularly strong in the ninth century. In the tenth it was overridden by the Iranian scholarly ideal of the „Adeeb“. The Iranian court secretaries were an established elite at that time. They wrote in Arabic and produced an abundance of books, feeling obliged to both the Islamic sciences like Qur'an, sayings and teachings of the prophet and shari'a law on the one hand and the established Greek sciences on the other. They also emphasized the arts and appeared as patrons, something that altered and expanded the Arabic-Islamic concept of science. Then, in the eleventh century, the Arabic-Islamic scholarly ideal of the „`Aalim“ (plural: ´Ulamaa') took over and with it a lasting orthodoxy, i.e. the doctrine of true faith.2 For the `Aalim the Islamic sciences were top priority, and they became prototypes – in a similar way as a blackbird is a prototypical bird rather than, say, an emu. Strict rejections of the Greek sciences did occur, but not very often.


The head of the philosopher al-Farabi (died 950) from a Kazakh banknote. In medieval Islam, different competing scholarly ideals existed. Photo: Wikipedia

It is hardly disputed today that, all in all, Islam as a religion and as a guideline for human behavior promoted the development of science more than it constrained it. After all, scientific activity was by no means restricted to religious officials and was instead open for everyone. Moreover, natural scientific studies largely and as a basic principle were not subject to any religious end, neither were linguistic, historical and literary studies. On the contrary: The early Islamic form of society actually supplied the infrastructure for a highly successful scientific routine, with mosques serving as schools that turned to universities, with intense student-teacher relationships, a scientific code that emphasized the indication of sources as well as just criticism and with the absorbtion of the knowledge of other civilizations.3

What remains disputed is to what extend the „gate of ijtihaad“, i.e. the gate of autonomous research and judgment had been closed by the orthodoxy, beginning in the 11. century. Creative scientific achievments, at any rate, did also occur in the following centuries in the Islamic world. Neither did the dictum of the closing of the gate in its essence express a general hostility toward science, but it sprang from the necessity of legal security in a time of conflicting legal opinions, i.e. fatwas.

Science as Accumulation of Precious Matter

Against this background it seems reasonable to suppose that thought and speech about science has a common basis, too, crossing the barriers of language and culture. This means everyday speech and everyday thought, not the individual terminologies or views of individual scholars or schools. Therefore I investigated the metaphorical basis of old Arabic texts on the description and classification of the sciences like those of Ibn Hazm, Ibn Khaldun, al-Ghazali, Ibn Sina, Ibn an-Nadim and other representative works as well as selected forewords of medieval Arabic monographs on individual sciences where many clues about the more general topic of science are supplied.4

The sources show that the sciences, due to their usefulness and benefit, are conceptualized as a precious treasure and desirable asset by all authors, even as a commodity, as capital and currency for which there are markets where they can and ought to be spent in order to make profitable deals. So neither method nor objective were the central issue, but the benefit of a science.

Following Qur'anic-Biblical tales about the prophets, science is also perceived in a way similar to the revelation of God's word: as a gift of God in the context of his contract with the believers who were to cherish the treasure responsibly, pass it on and bequeath it.

The medieval authors explicate the notion of a treasure with metaphors of amplitude and abundance, sometimes describing the sciences as an exuberant ocean, in which one can swim, or, alternatively, as a rain that produces fruits. The „ocean of knowledge/science“ is a common metaphor also in the West. In Arabic, however, there is a strong parallel metaphor „language is an ocean“, inherent even in the concepts for „dictionary“, namely „qaamuus“ and „muhiit“, both meaning „ocean“, the former deriving directly from Greek „okeanos“.


Science is an ocean in which one can swim. Photo: MikeInfokan, via Wikipedia

The water metaphors make science a mensurable asset that needs some kind of container or carrier in order to be held and kept, and one can read its existance in the cities like a rising and falling water level.

Next to cultural centers, books and also scholars and students were considered as carriers or containers. On the one hand, the Arabic writing world envisaged the learning process as an approximation to the sciences and their touch, represented with verbs of upward motion toward an exalted goal that is reached gradually, or with verbs of downward motion describing the immersion and delving into the secrets of the sciences to reach the bottom after having overcome or opened obstacles, like veils that are lifted. On the other hand we find metaphors in which the learner as a container acquires science, taking it, incorporating it and filling him- or herself with it.

We are dealing with a very material conception here in which all the single components unite in a cumulative way to form bigger parts which in the end of the process constitute the entirety of the sciences. These components can be individual topics, methods, subordinate disciplines and many other things. This notion is flanked and supplemented by less central metaphors like the light metaphor which probably derives from the universal conception of „knowing is seeing“.

We have to keep in mind here that a millenium ago educated people in the East and in the West largely followed the assumption that the world was made up of a fixed set of things. For each of them there were words to refer to these things, like labels. Hence, aspects like the subjectivity of perception, the relativity of information or scientific progress were marginalized and some of them could not be grasped and thought about, at all.

Progress and Development of the Sciences

The concepts of „progress“ and „development“, adopted from French, received their meanings for the description of science and technology in the 18. century, the era of renaissance that ended in modern times and in metaphors we today take for granted. We virtually expect technological and intellectual revolutions, while our computers are getting smaller and more and more efficient. That's progress.

But wasn't there anything comparable in medieval Islam? After all, as soon as around the year 800 the rationalistic and in many ways modern seeming philosophical school of the mu`tazila had established in Iraq, sending impulses into the entire Islamic world for a long time. So when Arabs and Muslims wrote about the past and the future of the sciences, didn't they have any conception of a development?

In my sources I found many allusions to a mental frame I called a „peregrination scenario“ in my master thesis. According to this scenario, the sciences circulated among people, moving from one people to another, like noble guests who appear together because they are linked to each other and needing one another. Sometimes they perish and their traces fade; one should treat them well to avoid this. But they can also return and be resurrected. – Apparently, one does not need a conception of development in the modern sense in order to describe the course of the sciences through time. The metaphors of „blossoming“ and „decay“ and of a „golden/silver age“, that occur in old Arabic in this context, denote formal aspects of development rather than e.g. methodical innovations, despite the fact that those innovations certainly existed. They just did not stand at the center of thinking, in contrast to the benefit, necessity, virtue and excellence of a science.

However, there indeed exists a supplementing „development scenario“ with regard to the sciences, and it may be the chapter on science in Ibn Khaldun's famous sociological pioneer work „muqaddima“ that provides its clearest formulation. This book from the 14. century – originally meant as an introduction for his voluminous history book – may have reached the Arab mainstream only in recent times, but its metaphors utilize long existing notions. Accordingly, the sciences come into being with their textualization, i.e. by writing them down, starting with the first books on a given discipline, the „mothers“. Later on, the new sciences are modified, ordered, revised and improved, and one can attach appendices and derive new branches.


The early Muslims often envisioned science(s) as a book. Source: wellcomeimages.org

Thus, with the superordinate metaphor „science is a book“, that had been common for a long time, it is possible to express progress and development. So Ibn Khaldun, in the closing words of the muqaddima, could write the following, very modern seeming sentences, repeated here in Franz Rosenthal's translation: „This book is concerned with the nature of civilization and the accidents that go with it. We have dealt – as we think, adequately – with the problems connected with that. Perhaps some later scholar, aided by the divine gifts of a sound mind and of solid scholarship, will penetrate into these problems in greater detail than we did here. A person who creates a new discipline does not have the task of enumerating all the individual problems connected with it. His task is to specify the subject of the discipline and its various branches and the discussions connected with it. His successors, then, may gradually add more problems, until the discipline is completely presented.“

Knowledge in Words, Science in Books

The Arabic-Islamic concept of science unlocks easily when we examine the underlying metaphors and compare them with ours today. For us, too, there is a fundamental tie between books and science, even though we conceptualize science much more as an agent, i.e. an original power, for example in expressions like „science says/found out ...“. In medieval Islam, however, the notion prevailed that at some point the sciences are completed, similar to a geographical area that is subdued in the course of time.

When we look at the development of the Arabic written culture we find equivalents in the collections of scientific booklets that merge into books and later often into voluminous works on individual disciplines. In this way, wordlists grew into huge dictionaries, the descriptions of single historical events ended in monumental historical works and so forth. In Ibn Khaldun's time handbooks on all the disciplines were available, and the book market was so comprehensive that a counter-motion set in and the abundance of information was resummarized and condensed into smaller books.

Yet, the example of Ibn Khaldun clearly shows that there could still be innovation. At the same time, the mental framework of „knowledge is words/science is book“ limited creative scientific work as every framework emphasizes certain aspects while pushing others into the background, a phenomenon linguists call „highlighting and hiding“.

Is this the reason for the decline of Islamic civilization and the rise of Europe, a shift Muslims of today are familiar with? Maybe. After pioneers like Chaucer, de Montaigne, Luther and Shakespeare, for instance, national languages rose in Europe in the 17. century, replacing the universal language Latin which had grown old and inflexible, and creating a novel world outlook. Arabic, unlike Latin, could not be „surmounted“ in this way, as it already was a national language, at least in the many Arab countries. When the medium newspaper came up, the Arabic language for the first time incorporated words and expressions from Europe – as foreign words and loanwords – on a large scale.

Some constitutive elements of modern science like multi-dimensional drawing and foreshortening were hardly paid attention to in the Islamic orient while the Europeans revolutionized them – in a similar way that Muslims before had revolutionized other central elements, be it in medicine, optics or other disciplines. Hence, as both cultural areas form a continuum in multiple ways it seems to be adequate to speak of the decline of a certain mentality, concerning both the East and the West.

When we speak about the Arabic-Islamic concept of science we should not forget that this topic is part of the history of occidental readers, too, and not something fundamentally alien. Not only has the West incorporated many Greek texts via Arab mediators and commentators, it also adopted genuine Arabic-Islamic elements like the medical works of Ibn Sina, who was called Avicenna in Latin Europe, or the basics of the scholastic method which is as unthinkable without Islam as is the revolution in nautics which since the 15. century had led to seminal geographical discoveries.5


Footnotes:
1. At https://georgelakoff.files.wordpress.com/2011/04/metaphor-and-war-the-metaphor-system-used-to-justify-war-in-the-gulf-lakoff-1991.pdf and www.huffpost.com/entry/obama-reframes-syria-meta_b_3879335 (back)
2. See my essay: The Concept of Science in Early Islamic History. Periodica Islamica 6(1):7-14,1996, online at www.anis-online.de/journalismus/essay/01.htm (back)
3. See Fuat Sezgin: Beginn des Stillstandes und Begründung für das Ende der Kreativität. In: Wissenschaft und Technik im Islam I. Einführung. Frankfurt a.M. 2003, pp 168-179, online at www.ibttm.org/museum/sammlung/Volume1DE.pdf (back)
4. In my master thesis „Die Metaphorik von `ilm an den Beispielen Ibn Hazm (st. 1064) und Ibn Khaldun (st. 1406)“, Hamburg 1994, and follow-up studies. For reasons of readability I skip the mention of the respective Arabic concepts and the sources of the individual metaphors in the essay at hand. (back)
5. More about the shared context of Muslim and Christian civilization in my essay „Gehört er nun oder gehört er nicht, der Islam zu Deutschland“ (2015) at www.anis-online.de/journalismus/essay/30.htm (back)

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