Sanktionen gegen Palästina?
Anis Hamadeh, 08.04.2006
Die EU und die USA haben die Überweisung von Hilfsgeldern für Palästina eingestellt. Wie aus den Medien hervorgeht, ist dies als Bestrafung der palästinensischen Gesellschaft gedacht, da sie die falsche Partei gewählt hat. Zwar sollte nach Ansicht des Westens diese Wahl demokratisch sein, allerdings unter der Bedingung, dass eine bestimmte Partei als Siegerin daraus hervorgeht. Der Hamas, die die Wahl gewonnen hat, werden drei Dinge vorgeworfen: dass sie das Existenzrecht Israels nicht anerkennt, dass sie der Gewalt nicht abschwört und dass sie bestehende Verträge nicht einhält.
Ist das nicht zynisch, könnte jemand einwerfen, da diese drei Dinge den jüdischen Staat besser charakterisieren als die palästinensische Seite: Israel hat das Existenzrecht der indigenen Bevölkerung nie anerkannt. Israel hat auch nie der Gewalt abgeschworen, im Gegenteil, es brüstet sich mit seinen "gezielten Tötungen" und ständigen militärischen Angriffen. Israel hält drittens keine Verträge und UNO-Resolutionen ein, sondern entscheidet grundsätzlich unilateral. Die Palästinenser haben weder gleiche Rechte, noch einen Staat oder eine Armee, noch eine vernünftige Infrastruktur. Daher ist es so gut wie unerheblich, wie sich die Palästinenser verhalten, denn die Macht zur Veränderung liegt nicht bei ihnen.
Die Beschwörung des Existenzrechts Israels ist zweifellos unmittelbar mit dem Genozid an den Juden verknüpft, der von Deutschen und Europäern begangen wurde. Hinter den Forderungen an die Hamas steht der Gedanke "Nie wieder Hitler", der zuvor der Fatah zugeschrieben worden war. Palästinenser werden also nicht nach der palästinensischen Geschichte, sondern nach der deutschen und jüdischen Geschichte beurteilt.
Viele Palästinenser fragen sich dennoch, wie ausgerechnet Deutschland einen Staat so bedingungslos unterstützen kann, der mit Waffengewalt herrscht, der eine dubiose Rassentrennung praktiziert, der eine Blut-und-Boden-Ideologie verfolgt, sich rechtlose Untermenschen schafft, der sich Lebensraum im Osten nimmt und sich um die Menschenrechte und das internationale Recht nicht schert, da er sich als rassisch und/oder religiös höherwertig sieht im Vergleich zu anderen Staaten.
Man muss sich dabei vor Augen halten, dass die Nazigeschichte nicht hinreichend verarbeitet ist und das stereotype Denken noch immer vorherrscht, nach dem es inhärent gute und böse Völker beziehungsweise Gesellschaften gibt. Die deutsche Öffentlichkeit ist nach wie vor unfähig, anders als rassistisch über Juden zu denken. Wenn es nicht die Bösen sind, dann sind es die Guten, und ihre Gegner sind die Bösen. Anders lässt sich das absurde Verhalten gegenüber den Palästinensern nicht erklären.
Wenn man das Naziböse in den Palästinensern sucht, muss man es nicht in der eigenen Geschichte und Gegenwart suchen. Analog dazu werden in der aktuellen Einbürgerungsdebatte die humanistischen Werte, die man selbst nicht erreichen kann, den Anderen als Maßstab zugewiesen und es wird von sich selbst abgelenkt. Psychologisch gesehen ist dies der - erfolglose - Versuch, das Böse abzuspalten, um es nicht mit der eigenen Identität in Verbindung bringen zu müssen.
Nur die Besetzung der Rollen hat sich verändert. Die Ideologie und die Mechanismen, die zum Genozid an den Juden im Westen geführt haben, bestehen nach wie vor. Auf der zeitgemäßen zivilisatorischen Stufe natürlich, es werden keine Gaskammern mehr eingesetzt. Nur so kann das jüdisch-westliche Trauma aufrecht erhalten werden, indem es immer wieder unreflektiert an ursprünglich unbeteiligten Parteien ausgelebt wird. Wir können das jetzt nicht ändern. Aber wir können es erklären.
Anis Hamadeh ist Autor der Studie: "Der Antisemitismus-Vorwurf in kritischer Betrachtung. Darstellung und Auswertung von Pressequellen." (2004. 100 Seiten). PDF-Datei: www.anis-online.de/journalismus/essay/_p/pdf/14.pdf
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Sanctions against Palestine?
Anis Hamadeh, April 08, 2006
The EU and the USA have suspended the transfer of subsidies for Palestine. It could be derived from the media that this act is meant to be a punishment of the Palestinian society for having voted for the wrong party. The West did want these elections to be democratic, but under the condition that a certain party wins. Hamas, who won the elections, is reproached with three issues: that it does not acknowledge Israel's right of existence, that it does not renounce violence, and that it does not abide by existing contracts.
Isn't this cynical, one could object, as these three items characterize the Jewish State much better than the Palestinian side: Israel has never acknowledged the right of existence of the indigenous population. Israel has never renounced violence, either. On the contrary, it is gloating about its "targeted killings" and its continuous military attacks. Israel, thirdly, does not abide by contracts and does not comply with UN resolutions, but makes unilateral decisions by principle. The Palestinians neither have the same rights, nor a state or an army, nor a decent infrastructure. Therefore the way the Palestinians behave is almost irrelevant, for the power for change is not in their hands.
Beyond doubt, the invocation of Israel's right of existence is immediately connected with the genocide of the Jews committed by Germans and Europeans. Behind the demands addressed to Hamas there is the notion of "Never again Hitler" which before had been ascribed to Fatah. Thus Palestinians are not assessed according to Palestinian history, but according to German and Jewish history.
Still many Palestinians ask themselves how Germany of all countries can so unconditionally support a state which is ruling with the power of weapons, which is practising a dubious segregation of races, pursueing a blood-and-soil ideology, creating rightless subhumans, taking living space in the East and a state that does not care for the human rights and international law, as it considers itself to be racially and/or religiously superior, compared with other states.
One has to be aware of the fact that the Nazi history has not sufficiently been digested and a mindset of stereotypes still prevails according to which there are inherently good and evil peoples and societies. The German public until today is unable to conceptualize Jews in non-racist terms. If they are not the evil guys they are the good guys and their opponents are the evil guys. There is no other way to explain the absurd behavior towards the Palestinians.
When one searches for the Nazi evil in the Palestinians one does not have to search for it in the own past and present. Analogously, in the current immigration debate those humanistic values, that Germany is unable to fulfill, are projected to measure "the other", distracting from the own behavior. Psychologically, this is the - failing - attempt to chip evil, so that it will not stand in one context with the own identity.
Only the cast of the roles has changed. The ideology and the mechanisms, which had led to the genocide of the Jews in the West, are valid like before. On the contemporary level, certainly, there are no gas chambers employed anymore. This is the only way to keep the Jewish western trauma working, by continuously inflicting it in an unreflected way upon originally uninvolved parties. We cannot change this now. But we can explain it.
Anis Hamadeh is the author of the study: "The Reproach of Anti-Semitism in Critical Reflection. Representation and Analysis of German Press Sources. (2004, 108 pp.). In German, English Summary: www.anis-online.de/journalismus/essay/14.htm#e
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